Zwei entspannte Mastodonten unter blauem Himmel

Sandra Schink

Das Fediversum und sein Platz im Internet

Fediverse, Fediversum, Mastodon

Das Fediversum ist neben Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter (heute X) Teil des Internets. Das war der einfache Teil. Wie es sich von unseren gewohnten Plattformen unterscheidet und wie wir es gut für uns nutzen können, versuche ich hier in diesem Long Read möglichst einfach und anschaulich zu erklären.

Für die Älteren unter uns gehe ich zunächst ein Stück in der Internet-Geschichte zurück. Von Beginn an war das Internet ein Mittel des Informationsaustausches und eine Möglichkeit zur Kommunikation. Von Anfang an gab es Chats und Message-Boards. Die stellten entweder die Internet-Hoster wie AOL oder CompuServe zur Verfügung, oder es gab Möglichkeiten wie Newsgroups oder noch früher die Mailboxen, oder auch einfach Foren, um sich auszutauschen.

Damals standen eher Themen im Vordergrund: Man suchte sich zu seinem Interessenfeld einen Chat, eine Gruppe oder ein Forum und tauschte sich dort mit anderen Menschen zu diesem Thema aus. Um das möglichst divers tun zu können, musste man sich überall ein neues Benutzerkonto anlegen. Bei jungen Müttern hieß das in den 2000ern zum Beispiel, jeweils ein neues Benutzerkonto bei Babyzimmer, Utopia, NetMoms und Eltern.de anzulegen.

Fotograf:innen switchten unter anderem zwischen dem DSLR-Forum, DForum und dem Forum der ersten Fotocommunity. Und je nach Geschmack, Anliegen und Tageslaune hielt man sich mal mehr in dem einen, mal weniger in dem anderen Forum auf. Hier wurden zwar auch Fotos gezeigt, primär ging es aber um das Fotografieren und die Fototechnik an sich.

Fokuswechsel

Besonders für Fotograf:innen schossen ab Mitte der 2000er immer mehr Fotocommunities aus dem Boden, wo dann das Bild im Vordergrund stand. Nach dem Motto: Wir haben genug über das Fotografieren geredet, jetzt wollen wir auch was zeigen, meldeten sich Massen an Amateurfotografen dort an. Nicht nur in einer Fotocommunity, sondern in vielen. Flickr, 1x.com, 500px, Photobucket heißen sie, sogar das Online-Angebot des Stern hatte eine, die VIEW Fotocommunity.

Man kann sich dort mit anderen Fotograf:innen vernetzen und dann unter deren Fotos Kommentare hinterlassen, Bildkritik, Lob oder einfach einen Gruß, an Fotowettbewerben und manchmal an Fotoreisen teilnehmen, wo man einander auch mal im echten Leben begegnete. Später kamen Foto-Apps wie Instagram und EyeEm dazu – für die wieder neue Benutzerkonten angelegt werden mussten.

Neue Tummelplätze, neue Accounts

Da gab es aber bereits neue Tummelplätze im Netz. Mark Zuckerberg hatte das Social Network erfunden. Bei Facebook ging es vordergründig um den individuellen Menschen und dessen Freund:innen. Was zunächst als geschmackloses Bewertungsspiel für Student:innen begonnen hatte, sollte sich zur größten virtuellen Gated Community der jüngeren Menschheitsgeschichte entwickeln, in der man sich mit Freund:innen oder in Interessensgruppen austauschen kann. Aktuell sollen rund drei Milliarden Menschen monatlich aktiv sein – nur auf Facebook. Wieviele sich seit Gründung tatsächlich registriert haben, ist unbekannt.

Etwa 700 Millionen User, die bei Messenger, WhatsApp und Instagram aktiv sein sollen, überschneiden sich vermutlich in einem erheblichen Maß mit den Facebook-Usern, da viele mehrere Dienste vom Facebook-Konzern Meta Platforms nutzen. Interessant daran ist, dass es auch innerhalb der Meta-Angebote nötig ist, jeweils neue Benutzerkonten in den verschiedenen Netzwerken anzulegen, auch wenn die Angebote mehr oder weniger benutzerfreundlich miteinander verbunden sind. Und wer so leichtsinnig war, bei der Facebook-Registrierung sein Smartphone-Adressebuch freizugeben, der bekommt bei Instagram und WhatsApp all jene User vorgeschlagen, die sich in diesem Adressbuch befanden und bereits angemeldet sind.

Der Microblogging-Dienst

Während es bei Facebook durch geschlossene Gruppen und beschränkte Feeds vermeintlich privat zugehen kann, verfolgte der Kurznachrichtendienst Twitter von Anfang an eine andere Strategie. Alle Beiträge sind öffentlich einsehbar. Die Taktung der durchlaufenden Beiträge ist durch den begrenzten Platz (anfangs 140 Zeichen, später 280) je nach Anzahl der gefolgten Menschen hoch.

Viele benutzten Twitter deshalb als Nachrichtenticker – kein anderes Netzwerk war schneller, wenn irgendwo in der Welt etwas passierte. Bei Twitter landete auch 2009 das erste bekannte iPhone-Augenzeugenfoto, als ein Fahrgast einer Fähre, Janis Krums, twitterte, dass ein Flugzeug im Hudson gelandet sei. Das Foto ging in kürzester Zeit um die Welt.

Twitter stand, ähnlich wie Instagram oder TikTok, für den schnellen, snackable Content unserer Zeit. Besonders in Deutschland tummelten sich hier aber auch viele Jahre die Masterminds der Journalismus- und Techbranche. Um gesellschaftliche Stimmungen, stundenaktuelle News, vor allem bei aktuellen Ereignissen unterstützt von Augenzeugenberichten, und Einordnungen von Experten und solchen, die es sein wollen, verfolgen zu können, brauchte man einen Twitter-Account.

Auch sämtliche Medien, Institutionen und Unternehmen sind hier präsent – oder waren es. Denn seit Ende Oktober 2022 hat unsere Stammkneipe einen neuen Wirt: Elon Musk.

Unsere Stammkneipe hat einen neuen Wirt. Und der hat einen schlechten Geschmack.

Der Milliardär hat sich mit Twitter ein neues Spielzeug gekauft, das er nun mit Hingabe kaputt spielt. Seit er die Fäden am Algorithmus zieht, haben sich sowohl die Inhalte der Feeds, als auch die eigene Sichtbarkeit vieler einstiger Influencer verändert. Vor allem jene, die frühzeitig zu Mastodon gewechselt sind und in ihren Twitter-Bios ihren neuen Accountnamen hinterlegt haben, beobachten weniger Sichtbarkeit und Interaktion – auch dann, wenn sie parallel zu Mastodon noch ebenso aktiv sind, wie vorher.

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Hinzu kommt, dass der inzwischen zu „X“ umbenannte Microblogging-Dienst zu einer Spielwiese für Erzkonservative und Rechte geworden ist, nicht zuletzt seit Elon Musk einst von Twitter gesperrte Konten reaktiviert hat, die wegen andauernder Fake News gesperrt worden waren. Entgegen seiner Aussagen, er wolle eine Plattform für uneingeschränkte Redefreiheit schaffen, ließ er bereits vielfach Accounts sperren und löschen, die ihn kritisierten und parodierten. Zuletzt sendete Musk ein „Go, fuck yourself.“ an die Werbekunden, die sich wegen all dieser ungemütlichen Neuerungen von X zurückgezogen haben.

Es ist so, als hätte ein neuer Wirt unsere heimelige Stammkneipe übernommen, das alte, aber gemütliche Mobiliar und das halbe Team auf die Straße geworfen, alle, die einst Hausverbot hatten weil sie randaliert hatten, wieder eingeladen rumzunölen und ihre haarsträubenden Stammtischreden zu halten, und den bisherigen Stammgästen unmissverständlich klar zu machen: Hier weht ein neuer Wind, und nichts wird mich aufhalten, denn ich bin hier der Boss. Wenn Euch das nicht passt, müsst Ihr gehen.

Viele sind inzwischen gegangen. Auch ich habe schweren Herzens fast 20.000 Tweets gelöscht, die ich seit 2009 auf Twitter geschrieben habe. In meinem Account findet man nur noch den Hinweis, wo man mich finden kann. Und vielleicht noch den Link zu diesem Artikel hier.

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Wie schön wäre EIN Account für ALLE Dienste – oh, wait!

Doch nun, wohin? Schon wieder einen neuen Dienst finden, schon wieder Follower aufbauen… Wo lohnt es sich, neu anzufangen?
Weil das Fediverse, insbesondere Mastodon, dem Mainstream noch zu sperrig und ungewohnt vorkommt, suchen nun viele ihr Glück bei BlueSky. Gegründet von Twitter-Gründer Jack Dorsey soll es Twitter folgen und es soll sich vor allem in einem Punkt unterscheiden: Es soll ein dezentrales Netzwerk sein. Das dafür noch bei Twitter entwickelte AT Protocol soll zukünftig dazu dienen, von BlueSky aus Usern auf anderen Plattformen, die ebenfalls dieses Protokoll nutzen, folgen zu können, und umgekehrt. Bis dahin kopiert BlueSky das Look and Feel von Twitter, gibt sich schlicht und einfach und hat auch noch nicht alle Twitter-Funktionen an Board. Viele fühlen sich dort trotzdem bereits wohl: Aktuell sind es laut Wikipedia zwei Millionen User, die mit Invite-Codes auf den neuen Microblogging-Dienst aufgesprungen sind.

Dem gegenüber stehen derzeit rund 14,5 Millionen User, die im Fediversum allein auf Mastodon unterwegs sind. Mastodon, entwickelt von einem Entwicklungsteam rund um Eugen Rochko in Jena, setzt – wie das ganze Fediversum – auf das offene, dezentrale Protokoll für soziale Netzwerke ActivityPub, das bereits seit 2018 vom W3C verwaltet und empfohlen wird.

Deshalb „spricht“ nicht nur Mastodon ActivityPub, sondern zum Beispiel auch Pixelfed (ähnlich Instagram), Friendica (ähnlich Facebook), PeerTube (ähnlich Youtube), und neben vielen weiteren anderen Plattformen auch WordPress.

Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil man deshalb zum Beispiel unserem Blog hier direkt aus dem Fediverse folgen kann: The Digital Pioneers Times im Fediverse.

Und jeder Mastodon-User kann Pixelfed-Nutzern, und jeder Pixelfed-User kann PeerTube-Usern folgen. Und so weiter. Es kommen ständig neue Plattformen im Fediversum hinzu.

Deshalb, liebe Medienschaffende, sind Vergleiche oder Auflistungen von Mastodon mit Twitter und anderen sozialen Netzwerken unsinnig: Wenn überhaupt sollte das gesamte Fediversum in Bezug genommen werden.

Aber was bedeutet das nun für User?

Im Fediverse wird niemand mehr zurückgelassen

In erster Linie vor allem eins: Wenn man sein „Zuhause“ im Fediversum erstmal gefunden hat, und man dort auch die Menschen wiedergefunden hat, denen man folgen möchte, und man sich einen respektablen Follower-Stamm aufgebaut hat, dann muss man sie nie mehr zurücklassen.

Gefällt einem die Instanz nicht mehr, die man sich ausgesucht hat, packt man einfach seine Follower zusammen und zieht auf einen anderen Server – oder sogar auf eine andere Plattform. Oder man erstellt, so wie wir es getan haben, eine eigene Instanz und erhält somit volle Kontrolle über eigene Inhalte. Wer Mastodon immer noch zu unhandlich oder unchic findet, zieht halt einfach zum Beispiel auf eine Firefish-Instanz – und kann hier sogar seine alten Beiträge wieder einspeisen.

Ich finde, das ist ein ausgesprochen relevantes Argument für das Fediverse. Denn dass Influencer immer noch zähneknirschend auf X weitermachen, liegt sicher nicht zuletzt daran, dass man bannig viel Zeit und Energie und Hirnschmalz in den Aufbau dieser Reichweite gesteckt hat.

Influencer: Endlich echte Kontrolle über die eigenen Inhalte in eigener Hand

Aber stellt Euch vor, die Heidi Klums, Dirk Nowitzkis, Jokos, Unges, Shirins, Sascha Lobos, Palinas, Klitschkos dieser Welt würden X konsequent verlassen und ins Fediverse umziehen? Wieviele würden spontan ihrem Beispiel folgen, um ihnen weiter folgen zu können?

Mehr noch – sie könnten sich sogar eigene Instanzen aufsetzen lassen und damit ein für allemal die Kontrolle über alle ihre Inhalte behalten können. Einmal erhaltene Follower könnten immer bei ihnen bleiben, weil sie von jeder anderen Fediverse-Instanz und jeder anderen Fediverse-Plattform folgen könnten, egal wer wann wohin umziehen würde.

Jan Böhmermann hat das übrigens bereits getan und hat schon wieder 192.000 Follower zusammengetrommelt – es geht also.

Also, geschätzte Influencer: Traut Euch ins Fediverse. Es gibt viel zu entdecken und viel zu gewinnen.

Beitragsbild mit den Mastodons generiert mit Midjourney.

Darstellung des Fediverse von Imke Senst, Mike Kuketz, CC BY-SA 4.0

P.S.: Falls Ihr noch auf X seid, repostet gern, vielleicht hilft es:

2 Gedanken zu „Das Fediversum und sein Platz im Internet“

  1. Hi Sandra, ein süffig lesbarer Longread für Umsteige-Interessierte. Vielen Dank, werde ihn teilen. Vor allem die internet-historische Einordnung für Internet-User der ersten Stunde gefällt mir. Ein ganz wichtiges Argument, nämlich der Entfall lästiger Werbung und anderer unangenehmer Monetarisierungs-Methoden kommerzieller Netzwerke, hast du aber leider nicht erwähnt.

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