Rückblickend betrachtet bin ich aus Versehen so früh ins Netz gelangt. Zwar hatte ich 1990 bereits erste Erfahrungen mit einem Redaktionsnetzwerk gemacht. Aber daran faszinierte mich nur, dass ich damit Kurznachrichten an Kolleg:innen in anderen Redaktionen in ganz Deutschland schicken konnte, die sie quasi in Echtzeit über die behäbigen Standleitungen der Post erhielten. Fast wie chatten, oder eher wie ein Messenger. In Atex hieß das „SM“ – Short Message. Und auch wenn es mich erstaunte, wie die Kollegen im Layout kryptische Codes eintippten, damit später im Blatt ein Text perfekt um ein freigesteltes Foto laufen konnte, ohne dass sie sahen, was sie da taten, so interessierte mich das „Wie“ nur oberflächlich. Das war mir zu abstrakt.
Herzchen und Dirty Talk im Redaktionsnetzwerk
Ich war 19, arbeitete als Fotolaborantin und später als Fotografin für die Regionalausgabe einer Tageszeitung. Und ich nutzte dieses System nur, um maximal zweizeilige Bildunterschriften für meine Fotos einzutippen. Und, naja, um mal ein ASCII-Herzchen zu verschicken, oder mit dem einen oder anderen Kollegen überaus unanständige Dirty Talks zu halten. Ich bin sicher, dass wir die Kollegen vom NADI (ja, unsere SysAdmins hießen „Nachrichtendienst“) das eine oder andere mal damit von der Arbeit abgelenkt haben. Aber damals war mir noch nicht bewusst, dass da quasi jede:r mitlesen konnte, der die richtigen Zugriffsrechte hatte. Und es war mir auch egal. Ich bekam ab und an zu hören, dass es mir an der für diesen Job notwendigen Ernsthaftigkeit fehlen würde, aber hey. Ich war 19.
Fotos per Festnetztelefon
Unsere Fotos versendeten wir, wenn es nötig war, per DFÜ – Datenfernübertragung – ins 30 Kilometer entfernte Druckhaus. Mit dem Festnetztelefon, quasi. Wir wählten eine Nummer, drückten den Hörer des Tischtelefons in einen Akustikkoppler, und übertrugen so analoge Tonabfolgen, die durch das Abtasten eines Schwarzweißfotos der Rolle eines Wetterfax-Gerätes enstanden. Klingt schräg? Hier habe ich es ausführlicher beschrieben.
Als ich 1992 für mein Volontariat den Verlag und zu einem Monatsmagazin wechselte, war ich verwundert, dass es dort all diese Kommunikationsmöglichkeiten noch nicht gab. Aber als Monatsmagazin hatten wir es auch nicht so eilig. Wir verschickten Fotos und Dias per Kurier.
Nerds und Kreative
Es dauerte dann nochmal drei Jahre, bis ich mit dem Interconnected Network in Berührung kam – DEM Internet. Ein Freund, Tontechniker und Bandmanager, teilte sich die WG mit einem Menschen, der für mich bis heute mein Bild für die Bezeichnung „Nerd“ prägt. In seinem Teil der WG gab es einen durch Lamellen-Jalousien abgedunkelten Raum mit vielen großen Monitoren auf einem großen geschwungenden Schreibtisch, und daneben lag eine Matratze auf dem Boden. „Große Monitore“ bedeutete damals vor allem „tiefe Monitore“.
Ich begegnete diesem Menschen, nennen wir ihn Pit, erstmals, als er hinter diesen Monitoren saß. Pizzakartons, Flaschen und Geschirr stapelten sich in der Küche nebenan. In seinem Wohnschlafbüro surrten mindestens zwei Rechner, und von ihm sah ich nur seinen Blondschopf hervorlugen. Ich sagte „Hi.“, aber mein Kumpel schob mich an der Tür vorbei. „Nicht stören, er schreibt ein Buch.“
Pit im Cyberspace
Es dauerte also etwas, bis ich ihn wirklich kennenlernte. Pit arbeitete quasi durch. Schreiben, essen, schreiben, bis sein Körper ihn erschöpft auf die Matratze zwang, aufwachen, schreiben, essen, schreiben, schlafen, repeat. Pit schrieb unter anderem dicke Fachbücher für Data-Becker über Anwendungen und Cyberzeugs. Da war es, dieses „Cyber“, dem ich seither verfallen bin. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt war Pit schon ewig im Usenet unterwegs, und das langsam in Deutschland ankommende Internet war für ihn einfach nur ein Update.
Irgendwann während einer WG-Party hockte ich neben Pit und statt zu feiern lauschte ich seinen Ausführungen, ohne auch nur irgendwas im Ansatz zu verstehen. Aber es klang spannend und er erzählte so fesselnd und begeistert von diesem Cyberspace, dass ich als sapiophil veranlagter Mensch nicht anders konnte, als ihm einfach nur fasziniert zuzuhören. Während er mit einer futuristischen Maus (eine haptische mit Trackball) irgendwas da in diesem Rechner navigierte, verblüffte mich besonders seine Vision, irgendwann seine ihn beschränkende körperliche Hülle abzustreifen und sich ins Netz upzuloaden.
Erforschung einer Parallelwelt
Ich glaube, wenn mich Pits Begeisterung über den Cyberspace nicht so mitgerissen hätte und es um die pure Technik gegangen wäre, ich hätte ein paar Jahre länger gebraucht, um das Internet für mich zu entdecken. Aber dank Pit und später auch seinem Support – ich bin mir ziemlich sicher, dass meine erstes 28.800er-Modem ein altes von ihm war – machte ich mich 1996 erstmal auf den eigenen Weg in dieses Internet, mit einer Compuserve-Diskette und keinem Plan.
Andere Nerd-Freunde hatten ein erstes Szene-Magazin für unsere Stadt online gestellt, mit Chat und Clubseiten und später einem Messenger-Board, und ich war eins der Gossip Girls, die dieses Board mit mal mehr, meist aber weniger sinnvollen Texten füllten, und mit winzig kleinen Fotos aus Digitalkameras mit Maximalauflösungen von 640×480 Pixeln. Beides musste ich allerdings an die Techies übergeben, weil ich noch keinen Plan hatte. An dieser Stelle entschuldige ich mich demütigst für mein unendliches Generve in dieser Zeit, Cutty und Henrietta, wenn es mir mal wieder alles nicht schnell genug ging.
Meine Freundin und ich hatten kurz den Plan, unsere Stadt zu verlassen und nach Hamburg zu ziehen. Dafür erstellte ich eine Bewerbungs-Homepage, die uns wohl unweigerlich und ohne Umwege direkt auf den Kiez gebracht hätte, wenn damals schon jemand diese Seite entdeckt hätte. Meine Güte… Bei der Erstellung bekam ich noch Hilfe, und im Message Board nervte ich die anderen mit bunten, blinkenden Lauftexten aus Self-HTML, die ich regelmäßig vergaß zu schließen. Manchmal blinkte deshalb das ganze Board.
Es ist es wie war
Nun sind 27 Jahre vergangen, und eigentlich ist es immer noch so. Ich habe inzwischen an die hundert Website-Projekte (mit) aufgebaut. Ich mache Sachen im Internet und immer noch stehen mir schlaue Techies zur Seite, weil ich nie den technischen Deep Dive in das „How to Internet“ gemacht habe. Ich habe lieber mit Frontpage und Dreamweaver gearbeitet, so wie ich heute WordPress einsetze. Immer bis ich Dinge umsetzen möchte, bei denen ich an meine Grenzen komme.
Seit acht Jahren steht mir @carsten an diesen Grenzen zur Seite und gibt mir sicheren technischen Geleitschutz bei jedem WordPress-Projekt, das ich ohne ihn früher oder später in den Sand gesetzt hätte. Deshalb freut es mich sehr, ihn bei diesem neuen Abenteuer in diesem Internet an meiner Seite zu wissen.
Sind es wirklich schon 8 Jahre? 😮 Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht.
Ja, krass, oder? Hab ich auch gedacht, als ich im Messenger gescrollt und nach unserem ersten WordPress-Rettungsgespräch gesucht habe 😀
@sandra Gott, jetzt gab ich die ganze Zeit das Piepen vom damaligen DFÜ-Modem im Ohr. 😂
Ich hab es sogar als Klingelton, was aber aus vielen Gründen keinen Sinn macht – vor allem, weil mein Smartphone immer nur vibriert 😉
Auch eine spannende Entwicklung: Von Klingelton-Abos (bzw. Abofallen) zu „fast alle haben ihre Handys dauerhaft stumm bzw. auf Vibration gestellt“.
Absolut.