Es ist Tag 2 des ersten Chaos Communication Congresses seit 2019, und er findet ohne mich statt, denn ich bin krank. Zeit, meine Eindrücke von meinen ersten beiden Tagen von meinem allerersten c3 überhaupt sacken zu lassen. Und auch Vorträge und Beiträge nachzuhören, an denen ich zwischen engeln und fotografieren nicht teilnehmen konnte. Da meine Gedanken zum Congress zum Thema „Frauen in der Technik“ related sind, nehme ich den Diner Podcast mit Jinxx, Teekse und Eva Wolfangel mal als Aufhänger.
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Mehr InformationenAls ich den Congress das erste Mal in den Mainstream-Medien wahrgenommen habe, habe ich mich selbst noch nicht als „Woman in Tech“ verortet. Zehn, zwölf Jahre muss das her sein. In den Artikeln ging es um den geringen Frauenanteil in der Informatik, und in technischen Berufen allgemein. Und damit verbunden wurde der Anteil Teilnehmerinnen auf dem Congress natürlich ebenfalls als vergleichsweise gering wahrgenommen.
Natürlich hatte ich schon lange vorher vom Congress gehört. Der Nerdanteil in meinem Freundes- und Bekanntenkreis war immer schon relativ groß. Und wenn sie dort mit leuchtenden Augen begeistert von diesem – huh! – Hacker-Congress erzählten, dann hatte das alles nichts mit mir zu tun. Das war mir alles zu technisch. Und von der Technik verstand ich nicht genug. Dachte ich.
Zu diesem Schluss war ich an verschiedenen Stationen in meinem Leben immer wieder gekommen: Ich hab ja keine Ahnung von der Technik. Bis heute habe ich das manifestiert, obwohl ein erheblicher Teil meines Freundes- und Bekanntenkreises mich als Nerd in der Runde wahrnimmt. Dass ich das selbst nicht so empfinde liegt vor allem an meinem Bewusstsein für das, was ich nicht kann. Und das wiederum liegt an meiner Sozialisierung.
Aus Versehen Rolemodel
Als Arbeiterkind aus einem bildungsfernen Haushalt am Niederrhein erlebte ich die erwachsenen Frauen in meiner Familie nicht als technisch affin. Meine beiden Großtanten im Westerwald zum Beispiel führten mit ihrem Bruder eine kleine Landwirtschaft. Dafür hantierten sie zwar mit allerlei Landtechnik und hingen oft genug selbst mit dem Schraubenschlüssel unter der Treckerhaube des damals schon alten Fendt. Dennoch assoziere ich mit den beiden Frauen bis heute eher die große gekachelte Küche als Arbeitsort, in der sie sich mit Butterfass und Einkochtopf um die Wintervorräte kümmerten. Das war in den 1970ern.
Von Frauen wie der NASA-Entwicklerin
Margaret Hamilton erfuhr ich erst Jahrzehnte später.
Tanten, Freundinnen meiner Eltern, andere Bekannte: Keine Frau arbeitete in technischen Berufen. Die meisten waren Sekretärinnen, Kauffrauen, Verkäuferinnen, Friseurinnen, Sachbearbeiterinnen. Meine Mum hatte eine Ausbildung als Werbekauffrau gemacht, arbeitete nach meiner Geburt als Haushaltshilfe.
Als ich ihr in den 1980ern eröffnete, dass ich gern eine Ausbildung als Automechanikerin machen würde – eine Lehrstelle hatte ich mir schon besorgt – schlug sie sie Hände über dem Kopf zusammen, sagte sowas wie „Deine schönen Hände! Werde doch lieber Floristin!“. Sie rief in der Werkstatt an und sagte die Lehrstelle ab. Ich konnte mich schlecht wehren, weil ich als damals 16jährige den Grund für den Wunsch für diesen Ausbilungsberuf nicht nennen konnte: Ich wollte zum Zirkus und weil ich artistisch talentfrei war, dachte ich: „Als Automechanikerin kann ich mich da nützlich machen!“ Vielleicht hatte ich doch auch das Bild von Großtante Klara am Trecker-Motor im Kopf.
Aus Versehen Hackerin
Ich wurde nicht Floristin, ich wurde Fotolaborantin in einem Großfoto-Labor. Es war ein Handwerk, das mit Chemie, Geräten, sehr großen Kameras und Maschinen zu tun hatte. Dass ich in den 1990ern Fotoreporterin und später auch Schreiberin wurde, verdankte ich zugewandten Kollegen. Ich bediente Kameras, Fotovergrößerer, Entwicklungsmaschinen, Telebildsender, Computer.
In einer anderen Redaktion war ich mit zwei weiteren jungen Kollegen zuständig für das Neubooten des Servers, weil dafür sonst jedesmal ein Admin aus einer 40km entfernten anderen Redaktion hätte anfahren müssen. Bei der Tätigkeit des Neustarten blieb es nicht lange, weil dieser Admin eine Doku im Serverraum liegen ließ und die Kollegen und ich all die spannenden Prompts auprobierten, die wir darin fanden. Seitdem wusste ich, dass, wie und wann unser NADI unsere persönlichen Nachrichten mitlesen konnte – und es auch tat.
Das Internet kam im Mainstream an, und ich wollte publizieren. Also eignete ich mir etwas HTML an, versuchte mich erst mit Frontpage und dann mit Dreamwaver. Ich digitalisierte meine Fotografie und setzte analog Erlerntes mit Photoshop um.
Als ich 2000 Mutter wurde und wir ein paar Mal umzogen, setzte ich php-Foren auf, um dort mit Freund:innen in Kontakt zu bleiben und aus unseren gemeinsamen Themen eine Info-Seite für werdende und junge Mütter aufzubauen. Mit dem Aufsetzen und Gestalten von kompletten Webseiten und Foren verdiente ich ein wenig nebenbei.
Als ich später wieder in einem Verlag anheuerte, arbeitete ich nicht nur als Community Managerin, sondern auch als Betatesterin für neu aufgesetzte News- und Community-Websites, arbeitete eng mit den Entwicklern zusammen, konzipierte neue Funktionalitäten, bediente und pflegte Ticketsysteme, beriet Kolleg:innen in anderen Redaktionen zur Gestaltung von ePapern oder half ihnen bei der Bedienung des CMS.
Woman with Tech
Alles was ich mir an technischem Wissen aneigne gehört für mich zum Handwerk für meine kreative Arbeit. Und auch wenn ich heute unter anderem im IT-Support arbeite, so sehe ich mich vor allem als Kreative, Publizistin, Gestalterin – mit technischem Grundverständnis und einigen technischen Skills, die ich für meinen Marketing-Job benötige.
Während dieser ganzen Entwicklung hätte ich niemals von mir behauptet eine „Woman in Tech“ zu sein. Weil ich mir jede Technik immer nur so weit aneigne, wie ich sie benötige um etwas Kreatives umsetzen zu können. Wenn ich Interviews führen möchte, suche ich mir Video- und Audio-Software und arbeite mich ein. Wenn ich keine Lust habe, Ostereier zu bemalen, baue ich einen EggBot dafür zusammen. Wenn mir die Nachbarschaft stinkt, baue ich mir einen Luftdatensensor. Und natürlich habe ich auch meinen 3D-Drucker selbst zusammengesetzt. Für meinen nicht so nerdigen Bekanntenkreis bin ich deshalb die Technik-Expertin. Also doch eine „Woman in Tech“?
Women with Nerds
Vielleicht macht mich das alles zu einer Generalistin. Meine Skills helfen mir vor allem beim Übersetzen zwischen Nerds und Kunden. Und genau damit konnte ich schon so manches Projekt retten, in dem es einfach an Verständnis- und Kommunikationsfähigkeiten gefehlt hat. Außerdem weiß ich immer, wen ich zu welchem Thema fragen kann. Und das ist der eigentliche Aspekt, den ich zum Thema „Woman in Tech“ einbringen möchte.
Seit Jahren verfolge und unterstütze ich nämlich die Versuche verschiedener Institutionen, Mädchen und Frauen für technische Berufe zu interessieren. Sei es bei den Jugend-Hackathons Jugend hackt der Open Knowledge Foundation, wo seit jetzt zehn Jahren fast händeringend für mehr Diversität und insbesondere um Mädchen geworben wird. Seien es Veranstaltungen wie der jährliche Girls‘ Day. Oder Charme-Offensiven einzelner Unis.
Und ich glaube, das funktioniert so nicht. Denn trotz aller offensiver Bemühungen habe ich nicht bemerkt, dass in den von mir beobachteten technischen Bereichen wesentlich mehr Frauen an Arbeitsplätzen oder auf den entsprechenden Bühnen zu finden sind – außer vielleicht tatsächlich beim Chaos Communication Congress.
Women with Skills
Wenn es um Bühnen geht, braucht es sicherlich entsprechende Formate, mit und auf denen sich Frauen wie Männer wohl und mit ihrer Expertise, aber auch ihrer Person gewertschätzt fühlen. Anders lässt es sich nicht erklären, warum es – wie bei dieser Auflistung von Speakerinnen.org gut zu sehen – immer noch deutlich mehr Technik-Verstanstaltungen mit deutlich mehr Männern als Frauen auf der Bühne gibt. Andererseits bei an Frauen adressierten Veranstaltungen, wie zum Beispiel der hybriden Women Tech Global Conference über 700 Frauen über ihre Spezialgebiete sprechen können – es gibt sie also, die Frauen, die das können und wollen.
Und wenn es um Lockmittel für technikinteressierte Mädchen geht, dann sind Events wie Jugend hackt, bei denen es neben dem Coding auch ganz viel um Awareness, Respekt, Diversität und Kreativität geht, ganz sicher die besten Startrampen, um technikinteressierte Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren die ersten Programmier- und Hardware-Skills zu vermitteln und ihnen die Möglichkeiten zu bieten, sich miteinander zu vernetzen. Aber gerade letzteres muss unmittelbar nach der Schule in Ausbildung und Abi weitergeführt werden. Und die Mädchen müssen sich willkommen und gemeint fühlen.
Mehr gemeinsame Vision statt Insel-Expertentum
Denn gerade bei den Mädchen- oder gemischten Teams bei Jugend-hackt-Events erlebe ich häufig, wie sich die Fähigkeiten und Interessen der Kinder ganz natürlich ideal ergänzen. Selten wollen alle einfach nur coden. Häufiger finden sich Gruppen zusammen, die eine gemeinsame Vision erdenken und sich dann in Software-, Hardware- und Design-Teams aufteilen.
Vielleicht würde es helfen, mehr Mädchen für technische Berufe zu begeistern, wenn sie gemeinsam mit ihren Freundinnen in eine Ausbildung oder in ein Studium gehen könnten, ohne dass alle das gleiche studieren müssen? Vielleicht wäre es auch ein Ansatz, mehr Überschneidungsräume zwischen Studierenden und Auszubildenden zu schaffen?
Eine Idee, die sicher nicht nur für Mädchen und Frauen interessant wäre, sondern die gesamte Gesellschaft bereichern würde. Die Expert:innen und Praktiker:innen schon früh zusammenbringen könnte und sowohl für eine gemeinsame Sprache als auch mehr Respekt füreinander sorgen könnte?
Denn auch bei Jugend hackt habe ich erlebt, welchen positiven Impact es sowohl für Arbeiter- als auch für Akademikerkinder hat, wenn sie auf neutralem Boden in wertungsfreier Atmosphäre, unabhängig von Gender und sozialem Hintergrund miteinander Ideen entwickeln – und sich miteinander sozialisieren können.
Mehr Digital Society statt digital Natives
Aber auch der erwachsenen Gesellschaft würde ich mehr gemeinsame Visions- und Gestaltungsräume wünschen. Es lohnt sich immer, in jeder Hinsicht diverse Teams mit interdiszlipinären Fähigkeiten und Erfahrungen zusammenzustellen und so auch unterschiedliche Perspektiven in Projekte einfließen zu lassen.
Der Chaos Communication Congress zeigt, wie sich eine Gesellschaft verändern kann, wenn sie einer gemeinsamen Vision folgt und bereit ist, immer weiter voneinander zu lernen. Langsam, aber stetig.
Mehr Frauen mit Tech
Bist Du eine Woman in Tech? Oder eher eine Woman with Tech? Wie war Dein Weg in die Technik? Wo hat sich Deiner Beobachtung nach der Frauenanteil erhöht?
Bist Du ein Man oder eine Person in Tech? Arbeitest Du lieber in einem gemischten oder homogenen Team? Wie hat sich das Arbeiten in der Techbranche in den letzten beiden Jahrzehnten verändert?
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